Elfriede Jelinek und die Wursthaut

Und noch einmal Elfriede Jelinek: Die Literatur-Nobelpreisträgerin erklärt in einem Interview, warum Interviews von Schriftstellerinnen eigentlich dumm sind. Alle Kreter lügen, sagt ein Kreter. Schon in den 1990er Jahren war es weit gekommen mit der Literatur angesichts ihrer minorisierten gesellschaftlichen Situation. Ungünstig, wenn diejenigen, die Texte rezensieren, lieber plauschen als lesen. Doch lesen Sie selbst:

Ja, das ist eine vertrackte Sache mit den Interviews. Ursprünglich wollte ich einfach den Leuten wirklich was erklären, damit sie meine Sachen besser verstehen sollen, ganz naiv, mit diesem 68er didaktischen Impetus, den wir damals alle draufhatten. Dann habe ich gemerkt, daß das nicht geht, weil die Leute nicht glauben, daß man ihnen etwas sagen möchte, sondern irgendeine List dahinter vermuten. Daß man also imstande sei, die Medien geplant für sich zu benutzen. (…) Außerdem weiß ich natürlich durch meine Arbeit (Michael etc.), daß die Medien IMMER stärker sind und jede Strategie daran scheitern muß. Man steigt vorne hinein und hinten kommt man faschiert und in eine Wursthaut gefüllt wieder raus. Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb ich keine Interviews mehr gebe, sondern der Hauptgrund ist inzwischen der, daß es mir unerträglich ist, wie primitiv Aussagen über die eigenen Texte im Vergleich zur Vielschichtigkeit der Texte selber sind. Außerdem habe ich schon genug gesagt und aus.

[Elfriede Jelinek, zitiert nach: Gerhard Fuchs/Elfriede Jelinek: ‚Man steigt vorne hinein und hinten kommt man faschiert und in eine Wursthaut gefüllt wieder raus’. Ein E-Mail-Austausch. S. 9f. In: Daniela Bartens/Paul Pechmann (Hg.): Elfriede Jelinek. Graz; Wien: Droschl, 1997. S. 9-27.]

Über den schwierigen und aussichtslosen Kampf subversiver Literatinnen, nicht von der Öffentlichkeit vereinnahmt zu werden, ist der Aufsatz Ein Nobelpreis für die Subversion? Aporien der Subversion im Theater Elfriede Jelineks entstanden. Der Text wird bald im Band zur Tagung Elfriede Jelinek – Stücke für oder gegen das Theater? veröffentlicht, der von Inge Arteel und Heidy Margrit Müller von der Vrije Universiteit Brussel herausgegeben wird

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Kategorie: Dokumentationen und Medien, Notizen und Fundstücke | Tags: , , , ,

About Thomas Ernst

Thomas Ernst is Professor of Modern German Literature at the University of Antwerp. He also works at the University of Amsterdam and holds a venia legendi on Media and Cultural Studies/German Studies at the University of Duisburg-Essen. His research focuses on the construction of identities, images of Germany and Europe, multilinguality and transcultural spaces in Austrian and German literature; on experimental and subversive Austrian and German literatures in the 20th and 21st century; and on the digital transformation of media and its cultural effects (literature and social media; intellectual property rights; digital publishing). His publications include books on “Popliteratur” (2001/2005), “Literatur und Subversion” (2013) and numerous papers that have been published in international magazines and book series with peer-review. At the moment, he is working on a monograph on literature and social media.

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