Tag Archives: Digitalisierung

Veröffentlichung: „Eine Kritik der Kritik des Open Access“

Es freut mich sehr, dass kurz vor Jahresende mein Aufsatz „Eine Kritik der Kritik des Open Access. Zu den Debatten über das Zweitveröffentlichungsrecht und über die Wertigkeit von Print- vs. Digitalpublikationen in den Geisteswissenschaften“ in der 30. Ausgabe der Zeitschrift Libreas. Library Ideas unter dem Schwerpunkt „Post-Digital Humanities“ veröffentlicht worden ist. In diesem Beitrag zeichne ich zunächst nach, wie sich nach den frühen Appellen für Open Science und Open Access inzwischen Standards einer offenen Veröffentlichungspraxis in den Geisteswissenschaften etablieren. Die Etablierung von Open Access als Standard in den Geisteswissenschaften wird allerdings weiterhin scharf kritisiert, weshalb ich mich anschließend sowohl mit den buch- und medienwissenschaftlichen Grundannahmen der Kritiker des Open Access (vor allem am Beispiel von Michael Hagner und Roland Reuß) sowie mit einzelnen Praxiserfahrungen bei der Wahrnehmung des Zweitveröffentlichungsrechts beschäftige. Schließlich kann ich zwar einerseits die medientheoretischen Grundannahmen der Open Access-Kritiker zurückweisen, ich plädiere jedoch andererseits dafür, einzelne ihrer Kritikpunkte zu berücksichtigen, um eine bessere Praxis von Open Access-Veröffentlichungen zu etablieren. In meinen Ausführungen beziehe ich mich u.a. auf buchwissenschaftliche (Svenja Hagenhoff), rechtswissenschaftliche (Sebastian Krujatz, Reto Mantz) und medienwissenschaftliche Arbeiten (Vilém Flusser).

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#Siggenthesen zum wissenschaftlichen Publizieren im digitalen Zeitalter

Als Klaus Mickus mich auf der Future Publish 2016 in Berlin ansprach, ob ich nicht Interesse daran hätte, mit ihm und Constanze Baum eine Art ‘Think Tank’ zum wissenschaftlichen Publizieren im digitalen Zeitalter zu organisieren, da er gerade “Eine Woche Zeit” gewonnen habe, war ich gleich Feuer und Flamme. Zu häufig verlieren wir uns im Wissenschafts-, Bibliotheks- oder Verlagsalltag in kleinen Kämpfen, es erschien mir sehr sinnvoll, mich einmal intensiv mit KollegInnen auszutauschen, mit denen man nicht erst das Ob der Digitalisierung diskutieren muss, sondern über das Wie sprechen kann. Tatsächlich erwies sich die Woche im Seminarzentrum Siggen als sehr anregend, wie Kollege Ben Kaden auf dem LIBREAS-Weblog berichtet.

Insbesondere freut es mich, dass wir unsere Siggener Debatten zu zehn #Siggenthesen verdichten konnten, die auf dem Redaktionsblog von Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken erstveröffentlicht wurden und dort unterzeichnet und kommentiert werden können. Die Thesen lauten wie folgt:

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“Open Knowledge? Potentials of Digital Publishing in the Academic World”

Eine Konferenz der Global Young Faculy III, 27. April 2015, 13:00-20:00, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Glaspavillon, Universitätsstr. 12

Mit großer Freude kündige ich hiermit die Abschlusskonferenz unserer “AG Potenziale Digitaler Medien in der Wissenschaft” in der Global Young Faculty III an. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen, welche Konsequenzen sich aus den Potenzialen des digitalen Publizierens für die Wissenschaft ergeben, inwiefern eine freiere Verfügbarkeit von Wissen auch eine bessere Wissenschaft begünstigt und an welchen Stellen aktuell der mediale und wissenschaftliche Wandel noch umstritten ist. Dazu haben wir einerseits mit Prof. Dr. Kathleen Fitzpatrick (New York City/Modern Language Association), Dr. Markus Neuschäfer (Berlin/Open Knowledge Foundation) und Dr. Thomas Stäcker (Wolfenbüttel/Digital Humanities im deutschsprachigen Raum) einschlägige Keynote-Speaker gewinnen können, daneben werden Prof. Dr. Eva Wilden (Vechta), Dr. Stephan Winter (Duisburg-Essen) und ich aus der AG-Arbeit berichten und erstmals die Ergebnisse einzelner AG-Projekte, u.a. einer Studie zur Nutzung digitaler wissenschaftlicher Medien durch Studierende und zum Zweitveröffentlichungsrecht, präsentieren.

 

Der Eintritt ist kostenlos, eine Anmeldung bei Kristina Petzold unter blog@global-young-faculty.de erwünscht, weitere Informationen erhalten Sie auf der Konferenzseite.

„Wir erfinden digitale Autoren!“ Open Space auf dem Kongress „E:Publish 2014“ in Berlin

Momentan bin ich in Berlin-Adlershof auf dem Kongress „E:Publish 2014“, der von SWOP veranstaltet und von PaperC sowie dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Berlin-Brandenburg, initiiert worden ist. Der Kongress beschäftigt sich mit den Veränderungen, die die Digitalisierung für die ‚Buchbranche’ bedeutet, die sich auf sehr verschiedene Weisen transformiert.

Das Programm ist ebenso interessant wie vielfältig, die Tweets zum Kongress vermitteln Ihnen einen Einblick. Ich habe die Freude, am Freitag, 14:30 Uhr, im Einstein-Kabinett, einen Open Space zum Thema „Wir erfinden digitale Autoren! Welche Formen der Autorschaft das E-Publishing wirklich benötigt” zu leiten. Die einführende Präsentation ist hier abrufbar, ich hoffe aber vor allem, dass wir eine produktive Diskussion haben werden.

Katharina Lührmann und Lisa-Marie Reingruber von unserem Essener Weblog Digitur – Literatur in der digitalen Welt sind auch vor Ort und werden in der nächsten Zeit verschiedene Beiträge zum Kongress bereitstellen.

„Digitur – Literatur in der digitalen Welt“: Kurze Nachlese von der Frankfurter Buchmesse (FAZ,Twitter)

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Es war ein intensiver und schöner Tag, gestern auf der Frankfurter Buchmesse im „Forum Zukunft“ in der ‚Arena Digital‘ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels! Die LuM-Webredakteurinnen von „Digitur“ und ich haben es sehr genossen, unsere Kontakte zum Göttinger DFG-Graduiertenkolleg „Literatur und Literaturvermittlung im Zeitalter der Digitalisierung“, zum Weblog „Litlog. Göttinger eMagazin für Literatur, Kultur, Wissenschaft“, zum Fortbildungsprogramm „Buch- und Medienpraxis“ der Universität Frankfurt und zum Börsenverein des Deutschen Buchhandels zu vertiefen. Danke auch nochmals an das Team von Buchmesse und Börsenverein!

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„Digitur – Literatur in der digitalen Welt“: Blog des Monats in der ‚Arena Digital‘ auf der Frankfurter Buchmesse

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat unser Essener Weblog „Digitur – Literatur in der digitalen Welt“ eingeladen, sich im ‚Forum Zukunft‘ in der ‚Arena Digital‘ auf der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. Gemeinsam mit Esther Kalb werde ich das Weblog am Samstag, 11. Oktober 2014, um 12:00 und um 14:30 Uhr in einer Präsentation vorstellen und für Nachfragen und Diskussionen zur Verfügung stehen. Sie finden uns in Halle 3.1, an Stand K15. Dort waren in den letzten Tagen bereits Projekte wie Sascha Lobos Sobooks-Verlag und die E-Book-Messe Deutschlands zu Gast, zudem wurde dort der Young Excellence Award des Börsenblatts verliehen (Glückwünsche an die verdiente Preisträgerin Nicola Richter von Mikrotext, die passenderweise gerade auf „Digitur“ portraitiert wurde!). Zudem treffen wir morgen in der ‚Arena Digital‘ auf unsere Göttinger KollegInnen vom DFG-Graduiertenkolleg „Literatur und Literaturvermittlung in digitalen Medien“, deren Leitung in Person von Prof. Dr. Simone Winko und Dr. Matthias Beilein wir ebenfalls bereits für Digitur interviewt haben.

Überhaupt ist der Oktober ein guter Monat für „Digitur”: Das Portal Uniglobale hat „Digitur“ zum Weblog des Monats Oktober 2014 gekürt, Digitur-Redakteurin Katharina Graef erzählt dort die Geschichte des Weblogs. Es ist wirklich fantastisch, was die inzwischen elf Redakteurinnen aus der kleinen Idee gemacht haben, die fünf Studentinnen meines Medienseminars im MA-Studiengang „Literatur und Medienpraxis“ im Sommer 2013 entwickelt haben, von denen vier sogar zuvor noch nie gebloggt hatten. Umso schöner, dass wir jetzt zum einjährigen Geburtstag von „Digitur“ (das erste Posting stammt vom 13. Oktober 2013) eine solche Resonanz erfahren.

Lesen Sie also gerne einmal hinein in die „Digitur“-Postings zwischen Interviews und Portraits, Fundstücken und Events, Markt und Wissenschaft, die sich mit dem E-Publishing und Sozialen Medien (u.a. E-Books, Weblogs, Facebook, Twitter, Podcasts), dem digitalen Literaturbetrieb (u.a. Online-Buchhandel, E-Leihe in Bibliotheken) sowie rechtlichen und ökonomischen Fragen der digitalen Literatur (u.a. Crowdfunding, Open Access) beschäftigen.

In Frankfurt werden wir wahrscheinlich im Anschluss an unsere Präsentation zwei Filme zeigen, die einen guten Einblick in unsere Aktivitäten im Studiengang „Literatur und Medienpraxis“ geben und auf die ich hier noch einmal hinweisen möchte:

Vom Urheber zur Crowd, vom Werk zur Version, vom Schutz zur Öffnung? Linkliste zu meinem Marburger Vortrag #gfm14 über wiss. Publizieren in digitalen Medien

Heute spreche ich auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft zum Thema Medien/Recht an der Philipp-Universität Marburg. Es ist eine hochgradig spannende Tagung, bei der man kaum weiß, welches der vielen Parallelpanels man lieber besuchen würde – einen Einblick mögen Ihnen auch die Tweets zur Konferenz geben.

Da ich mich in meinem Vortrag im Panel 4.1. Kollektive Autorschaft, Archive (Film, Musik, Wissenschaft) zum Thema Vom Urheber zur Crowd, vom Werk zur Version, vom Schutz zur Öffnung? Wissenschaftliches Publizieren in digitalen Medien auf verschiedene online verfügbare Quellen berufen werde, die Sie individuell sichten sollten, während ich vortrage, finden Sie hier die entsprechende Linkliste:

Allgemeine Links zum Vortrag

Beispiele für kollaboratives Schreiben und Social Reading in einer digitalen Wissenschaft

Interaktives Weblog unter CC-Lizenz

Vernetzte Wissenschaftskommunikation in Sozialen Medien

(Teilweise anonyme) Bearbeitung konkreter Forschungsfragen auf kollaborativen Online-Plattformen

Transparente Academic Social Reading- und Commenting-Plattformen

Video-Dokumentation des Workshops „Nach dem geistigen Eigentum?“

Die studentische Webredaktion unseres Essener MA-Studiengangs “Literatur und Medienpraxis” hat aus den sechs Stunden Videomaterial eine achtminütige Kurzzusammenfassung des Workshops “Nach dem geistigen Eigentum? Digitale Literatur, die Literaturwissenschaft und das Immaterialgüterrecht” geschnitten, die Ihnen einen ersten Einblick in die Präsentationen und Diskussionen geben:

Dank der fabelhaften Unterstützung durch die Essener Medientechnik (ein Dank an Jochen Ehlert und Ralf Wassermann!) stehen auch die kompletten Präsentationen und Diskussionen des Workshops zur Nachbetrachtung auf den Workshopseiten www.uni-due.de/ndge/livestream zur Verfügung. Sie finden dort die folgenden Video- und Audiodateien:

  • Prof. Dr. Rolf Parr (Studiengangleiter ‚MA Literatur und Medienpraxis‘ an der Universität Duisburg-Essen): »Grußwort« (4:36, Video, Direktlink zu div. Dateiformaten in DuEPublico)
  • Dr. Thomas Ernst (Universität Duisburg-Essen): Vortrag zum Thema »Nach dem geistigen Eigentum? Die Literaturwissenschaft und das Immaterialgüterrecht« (26:24, Video, Direktlink zu DuEPublico)
  • Dirk von Gehlen (Süddeutsche Zeitung, Leiter Social Media/Innovation): Vortrag und Diskussion zum Thema »War Crowdfunding besser als Suhrkamp? ‚Eine neue Version ist verfügbar‘ – Probleme und Potenziale digitaler Buchveröffentlichungsformen« (59:17, Video, Direktlink zu DuEPublico)
  • Klaus-Peter Böttger (Präsident EBLIDA/Leiter Stadtbibliothek Essen): Vortrag und Diskussion zum Thema »Warum das Urheberrecht ein Problem für die ›Onleihe‹ ist. Oder: Was macht für Bibliotheken den Unterschied zwischen einem Kauf und einer Lizenz aus?« (54:09, Video, Direktlink zu DuEPublico)
  • Prof. Dr. Katharina de la Durantaye (Humboldt-Universität Berlin): Vortrag und Diskussion zum Thema »›Geistiges Eigentum‹ vs. Immaterialgüterrecht. Rechtswissenschaftliche Perspektiven für die Literaturwissenschaft« (46:00, Audio, Direktlink zu DuEPublico)
  • Podiumsdiskussion zum Thema »Digitale Literaturen, Geschäftsmodelle digitalen Publizierens und das Immaterialgüterrecht. Probleme und Perspektiven« mit den Diskutanten: Prof. Dr. Hermann Cölfen (Kustos der Germanistik an der Universität Duisburg-Essen; Gründer des Universitätsverlags Rhein-Ruhr), Dorothee Graf (Fachreferentin Germanistik der Universitätsbibliothek der Universität Duisburg-Essen), Matthias Spielkamp (Projektleiter iRights.info – Urheberrecht in der digitalen Welt), Dr. Paul Heinemann (Lektor des Olms Verlag, Hildesheim), Moderation: Dr. Thomas Ernst (1h40, Video, Direktlink zu DuEPublico)
  • Sehen Sie auch den Kurzbericht zum Workshop von Esther Kalb für das Weblog Digitur – Literatur in der digitalen Welt.

„Wikipedia is nix?“ Digitales Wissen in der Wissenschaft. Ergänzende Anmerkungen zu einem Interview für DRadioWissen

Inwiefern darf man aus digitalen Medien wie der Wikipedia in wissenschaftlichen Arbeiten zitieren? Welchen Status haben digitale Medien in der Wissenschaft überhaupt? Zu diesen aktuellen Fragen habe ich vor kurzem Andrea Heinze in der Sendung „Mein Studium” von DRadioWissen (Ergänzung vom 21.2.2014: Nach dem Relaunch von DRadio Wissen ist die Seite zur Sendung leider nicht mehr verfügbar, Sie können das Interview aber an anderer Quelle anhören) ein achteinhalbminütiges Interview gegeben (ein großer Luxus, dass sich Radiosender heute noch eine solche Interviewlänge erlauben, danke dafür!). Da einerseits das Format des Telefoninterviews auf Prägnanz angewiesen ist und ich andererseits den noch immer sehr starken ‚internetkritischen‘ Diskursen in den meisten Qualitätsmedien ein paar deutliche Thesen entgegen stellen wollte, nutze ich dieses Blogposting, um meine Interview-Aussagen zu ergänzen und zu differenzieren.

Richtig zitieren aus Buch- und Internetquellen: Medienkompetenz ist der Schlüssel

Zunächst möchte ich noch einmal kurz meine Kernthesen aus dem Interview wiederholen: Beim Verfassen wissenschaftlicher (Haus-)Arbeiten steht die Medienkompetenz zentral, sehr verschiedene Quellen zu einem jeweiligen Themenfeld recherchieren, bewerten, auswählen und ggf. sinnvoll zitieren zu können. Dies war schon in der sog. ‚Gutenberg-Galaxis‘ so, in der mit hochwertigen wissenschaftlichen Reihen einerseits und subjektiven Meinungsäußerungen oder im Selbstverlag herausgegebenen Büchern andererseits sehr verschiedene Pole zitabler Texte existierten. In digitalen Medien finden wir nun erstens zahllose digitalisierte Texte der ‚Gutenberg-Galaxis‘, zweitens jedoch spezifische Texturen, die so nur im World Wide Web entstehen können, wie beispielsweise interaktive Postings in Weblogs oder die Beiträge einer kollaborativ geschriebenen freien Enzyklopädie wie der Wikipedia. Grundsätzlich handelt es sich daher bei der Bewertung von papiernen oder digitalen Quellen für die wissenschaftliche Textproduktion um, so meine Formulierung im Interview, „eine mediale Verschiebung eines Problems, das Sie auch früher schon hatten.”

Die simplifizierende binäre Schematisierung ‚hochwertige Papierquellen‘ vs. ‚minderwertige Onlinequellen‘ muss also differenziert werden. Um nur ein beliebiges Beispiel zu nennen: Es ist bereits mehrfach gezeigt worden, dass die Einträge von noch immer als wissenschaftlich hochwertig und ‚objektiv‘ bewerteten Lexika und Enzyklopädien beispielsweise zu einem Begriff wie „Zigeuner” in hohem Maße ideologisiert und stigmatisierend gestaltet worden sind [siehe Fußnote 1]. Im Gegensatz dazu ermöglicht beispielsweise die Wikipedia eine hilfreiche  Transparenz, sie markiert politisch umstrittenes Wissen, wenn um Passagen in Beiträgen anhaltend gerungen wird, denn „[w]ir haben so etwas wie eine Versions-/Verlaufsgeschichte, ich kann also bei jedem Artikel – anders als früher beim Brockhaus – in die Entstehungsgeschichte hineinschauen: Wie viele Menschen aus der Community haben eigentlich daran mitgearbeitet? An welcher Stelle im Text gab es wann Veränderungen? Welche Teile des Textes stehen schon länger online, sind also […] ‚sakrosankt‘ innerhalb der Community? Dieser Blick hinter die Kulissen der Textproduktion” kann Studierenden bei der Bewertung der Quellenqualität helfen. Redakteurin und Interviewerin Andrea Heinze fasste somit meine Position wie folgt zusammen: „Wikipedia nutzen für Seminararbeiten ist unter Umständen in Ordnung.”

Digitales Wissen in der Wissenschaft: Von Potenzialen und Problemen

Nun wäre es aber wichtig, und hiermit bewegen wir uns jenseits des optimistischen Interviews, diese Umstände näher zu bestimmen. Daher werde ich mich nun ein wenig mit den praktischen Umständen beschäftigen, unter denen Studierende darüber nachdenken, Wikipedia als wissenschaftliche Quelle zu zitieren. Hier erscheinen mir vier Probleme wichtig:

1. Die digitale Verbreitung und Präsenz textlichen Wissens in Verbindung mit einer intensiven Internetnutzung im Alltag hat zu einer größeren Bequemlichkeit der Studierenden bei der Literaturrecherche geführt. Ärgerlicherweise erhält man – trotz aller gegenteiligen Hinweise – gerade von StudienanfängerInnen erste Hausarbeiten, in denen das Literaturverzeichnis primär aus schwachen Internetquellen besteht. Erfreulich ist das nicht.

2. Die aktuelle Studierendengeneration hat in der Schule noch im Regelfall vor allem mit gedruckten Texten gearbeitet und in gedruckten Büchern, Papierkopien oder Ausdrucken Markierungen vorgenommen. Das führt zur widersprüchlichen Situation, dass den Studierenden zwar einerseits immer mehr (digitales) Wissen zur Verfügung steht, dieses im konkreten Lektüreprozess jedoch meist nicht ausreichend durchdrungen wird, weil sich die Studierenden im Regelfall noch an Verfahren der Textmarkierung und -kommentierung in digitalen Medien gewöhnen müssen. Dieses Problem werden spätere Generationen nicht mehr haben, stört aber aktuell die konkrete Arbeit.

3. In der Wissenschaft wird aktuell noch um die Wertigkeit digitaler Veröffentlichungen gerungen, zumal (in den Geisteswissenschaften) die hochwertigen wissenschaftlichen Reihen und Magazine noch vor allem in der gedruckten Textwelt beheimatet sind (wobei auch diese nahezu komplett aus digitalen Vorlagen erzeugt wird). Zudem müssen die Wissenschaften (vor allem die Geisteswissenschaften) erst noch lernen, mit den nummerischen Bewertungsverfahren, kollektiven Autorschaften und der Versionierung von Texten in digitalen Medien (die es allesamt auch schon im Papierzeitalter gab, aber nicht in dieser Intensität und Bedeutung) angemessen umzugehen, da diese Verfahren der Wissensproduktion mit vielen Grundannahmen des wissenschaftlichen Publizierens in der ‚Gutenberg-Galaxis‘ brechen (klar benennbare Urheberschaft von Texten; eine eingeschränkte Versionierung von Texten; geheime und anonymisierte Begutachtungssysteme; Textpublikation erst nach Fertigstellung des gesamten Projekts etc.).

4. Die spezifische Frage nach der Wertigkeit der Wikipedia als wissenschaftliche Quelle ist eigentlich schwierig zu beantworten, da in wissenschaftlichen Arbeiten üblicherweise Primär- und Forschungsliteratur, jedoch nur vereinzelt Enzyklopädien und Handbücher zitiert werden, die – wenn überhaupt – für die recherchierende Annäherung an ein Themenfeld genutzt werden. Das führt mitunter zu der studentischen Fehleinschätzung, ein Referat, das in weiten Teilen einen Wikipedia-Beitrag zitiert, sei ein angemessener wissenschaftlicher Beitrag, wo es sich doch nur um eine unangemessene (und womöglich auch noch unwissenschaftliche) Form eines Plagiats handelt – ein Wiki-Eintrag kann immer nur ein Element eines viel größeren Feldes recherchierter Texte sein, wenn er denn überhaupt qualitativ ausreichend ist (diese Einschätzung gilt allerdings in ähnlicher Form für die Nutzung des Brockhaus als Quelle wissenschaftlicher Forschung).

5. Mit der Wikipedia hat sich im World Wide Web eine kollektiv produzierte Wissensplattform etabliert, die voraussichtlich auf Dauer noch hochwertiger wird. Momentan muss man leider an vielen Stellen noch vorsichtig sein: Mein eigener Eintrag in der Wikipedia enthält noch zwei sachliche Fehler und ob ich als „Schriftsteller” am besten rubriziert bin, darüber kann man auch streiten. Ich bin allerdings sehr glücklich, dass die Community mich bereits rubriziert hat – von manchen Kollegen weiß ich, dass sie aus ihrem Umfeld ihre Beiträge haben verfassen lassen, um anschließend die Wikipedia als minderwertige Wissensplattform zu bewerten. Es gibt also weiterhin viel Arbeit im Bereich ‚Qualitätssicherung‘ der Wikipedia zu leisten – wir werden sehen, ob die Community das hinbekommt.

6. Sehr berechtigt sind in den letzten Jahren einige prominente Promotions-Plagiatsfälle entlarvt worden. Kollaborative Rechercheplattformen wie GuttenPlag oder VroniPlag mit ihren teilweise anonymen MitarbeiterInnen haben dabei als wissenschaftsexterne Instanzen zumeist verlässliche Ergebnisse produziert, die funktionierende wissenschaftliche Institutionen im Sinne der akademischen Selbstkontrolle schon selbst längst hätten vorgelegt haben müssen.

Von dieser Problematik noch einmal zu trennen ist das Problem vieler Studierender in den ersten Semestern, wie die Entwicklung eigener Argumentationen und Erkenntnisse einerseits von fremdem Wissen andererseits formal korrekt zu trennen ist. Die Alltagserfahrung einer MashUp- oder Remixkultur im World Wide Web lässt für Studierende diese Trennung noch ‚künstlicher’ erscheinen, was wir leider in (zu) vielen Hausarbeiten dokumentiert bekommen und tatsächlich ein großes Problem geworden ist. Dieser Punkt ist zugleich ein gutes Beispiel, das die Potenziale der digitalen Wissensdistribution zugleich auch bereits bestehende Probleme verschärfen.

7. Selbstverständlich thematisiere ich diese Potenziale und Probleme des digitalen Wissens in der wissenschaftlichen Arbeit auch in meinen Seminarsitzungen. In einem chronisch unterfinanzierten Universitätssystem, in dem einerseits immer mehr Studierende auf der Basis einer andererseits immer schlechteren Ausstattung zum Studienabschluss gebracht werden sollen, stoßen diese Bemühungen jedoch zwangsläufig an ihre grenzen. Gemeinsam mit meinen KollegInnen Prof. Dr. Rolf Parr und Dr. Corinna Schlicht von der Universität Duisburg-Essen habe ich daher zumindest einzelne Hinweisdateien für Studierende zu diesen Fragen bereitgestellt.

Das heißt: Der digitale Medienwandel wird auch weiterhin das wissenschaftliche Arbeiten und Schreiben ändern, wobei er Potenziale und Probleme mit sich bringt. In zwanzig Jahre, davon bin ich sehr überzeugt, wird der Prozess zur wissenschaftlichen Veröffentlichung anders aussehen als heute, Begriffe wie Kollaboration, Transparenz und Präsenz werden dann eine deutlich größere Rolle spielen. Im MA-Studiengang „Literatur und Medienpraxis” an der Universität Duisburg-Essen, in der „AG Potenziale digitaler Medien in der Wissenschaft” der Global Young Faculty III und an vielen anderen Stellen werden wir diese Prozesse auch wissenschaftlich begleiten. Mehr dazu in der nächsten Zeit an dieser Stelle…

Fußnote 1

Vgl. die Beiträge von Anja Lobenstein-Reichmann, Ramona Mechthilde Treinen und Herbert Uerlings sowie den Sammelband von Anita Awosusi: Herbert Uerlings/Iulia-Karin Patrut (Hg.): „Zigeuner” und Nation. Repräsentation, Inklusion, Exklusion. Frankfurt 2008, S. 589-629, 631-696; Anita Awosusi (Hg.): Stichwort: „Zigeuner”. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien. Heidelberg 1998.

Nach dem geistigen Eigentum? Digitale Literatur, die Literaturwissenschaft und das Immaterialgüterrecht

Mit Mitteln des Rektorats der Universität Duisburg-Essen aus dem Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses habe ich einen Workshop organisiert, der verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und Praktiker der digitalen Medien zusammenbringen wird.

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Er zielt darauf ab, verschiedene Geschäftsmodelle digitaler Autorschaft (für die Felder Journalismus, Literatur und Wissenschaft) herauszuarbeiten und zu diskutieren, den Blick auf das Verhältnis des bestehenden Urheberrechts zu verschiedenen Entwicklungen der Literatur in digitalen Medien zu weiten sowie danach zu fragen, ob es sich bei journalistischen, literarischen und wissenschaftlichen Texten letztlich nicht doch um sehr spezifische kulturelle Artefakte handelt. Als Sprecherinnen und Sprecher sind eingeladen: Dirk von Gehlen (Süddeutsche Zeitung, München), Klaus-Peter Böttger (EBLIDA/Stadtbibliothek Essen), Prof. Dr. Katharina de la Durantaye (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Hermann Cölfen (Universität Duisburg-Essen), Dorothee Graf (Universitätsbibliothek Duisburg-Essen), Matthias Spielkamp (iRights.info, Berlin) und Dorothee Werner (Börsenverein des Dt. Buchhandels, Frankfurt/Main).

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Ausführlichere Informationen finden Sie auf der Workshop-Webseite http://www.uni-due.de/ndge. Der Workshop wird gestreamt über das Weblog http://blogs.uni-due.de/digitur/ und auf der Plattform unseres Medienpartners iRights.info. Sie können gerne Fragen oder Kommentare twittern, das Hashtag lautet #ndge. Die Teilnahme ist kostenlos, melden Sie sich aber bitte möglichst frühzeitig und spätestens bis zum 8. Januar 2014 unter Angabe Ihres Namens und Ihrer institutionellen Anbindung bei Katharina Graef an, da der Platz begrenzt ist: ndge@uni-due.de. Texte der studentischen Webredaktion des Studiengangs Literatur und Medienpraxis zum Workshop finden Sie auf http://blogs.uni-due.de/digitur/.