Philosophieren im Palmenwald des Rausches: Walter Benjamin

Mit kleinen Texten auf große Weise philosophierte Walter Benjamin (1892-1940), was ihm zu Lebzeiten jedoch heftiges Unverständnis bornierter Deutscher einbrachte: Seine Habilitationsschrift musste er zurückziehen, eine Professur trat er folglich im antisemitisch geprägten Deutschland nicht an, 1940 nahm er sich auf der Flucht vor den Nationalsozialisten das Leben.

Zu seinen wichtigsten Texten zählen Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und Das Passagen-Werk. Zu häufig wird leider die kleine Schrift Über Haschisch übersehen, die Protokolle jener Drogenexperimente versammelt, die Benjamin ab den späten 1920er Jahren unter ärztlicher Aufsicht durchführte und deren aufmerksame Lektüre manchen Quatsch der Hippiezeit hätten verhindern können. Benjamins optimistische Ausgangsthese lautet:

„Unliebenswürdigkeit, Rechthaberei und Pharisäertum sind Züge, denen man bei Süchtigen nur selten begegnen wird.“ [S. 60]

In eigenen Experimenten widmet er sich dem Versuch, seine eigenen Charakterzüge durch den Haschischkonsum zu verbessern, was mitunter zu äußerst komischen Bemerkungen führt (die sein Arzt freundlicherweise transkribiert hat):

„Gleichzeitig wird kritisch geäußert, daß die Versuchsbedingungen ungünstig sind. Solch ein Versuch müsse im Palmenwald erfolgen. Im übrigen sei die erhaltene Dosis für B[enjamin] viel zu gering: ein Gedankengang, der im Lauf des Versuchs immer wieder auftaucht und gelegentlich heftigen Unwillen zum Ausdruck kommen läßt.“ [S. 130]

Auf diese Weise kommt Benjamin zu einigen ebenso überraschenden wie amüsanten Feststellungen:

„Wenn Freud eine Psychoanalyse der Schöpfung machen würde, dann würden die Fjorde nicht gut wegkommen.“ [S. 120]

Ins Innere des Haschischkonsums – und irgendwie auch des Lebens Benjamins – führt eine Reflexion über den Begriff der

„Traurigkeit, der Schleier, der unbewegt hängt und sich nach einem Hauch sehnt, der ihn lüftet.“ [S. 140]

Treten Sie aus den Zwängen neoliberalen Alltagslebens heraus und nutzen Sie als Lesedroge folgendes Buch:

Walter Benjamin: Über Haschisch. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1972.

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Kategorie: Rezensionen und Kritik | Tags:

About Thomas Ernst

Thomas Ernst is Professor of Modern German Literature at the University of Antwerp. He also works at the University of Amsterdam and holds a venia legendi on Media and Cultural Studies/German Studies at the University of Duisburg-Essen. His research focuses on the construction of identities, images of Germany and Europe, multilinguality and transcultural spaces in Austrian and German literature; on experimental and subversive Austrian and German literatures in the 20th and 21st century; and on the digital transformation of media and its cultural effects (literature and social media; intellectual property rights; digital publishing). His publications include books on “Popliteratur” (2001/2005), “Literatur und Subversion” (2013) and numerous papers that have been published in international magazines and book series with peer-review. At the moment, he is working on a monograph on literature and social media.

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