Das Schwarze sind die Buchstaben. Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur

Das Schwarze sind die Buchstaben (Cover klein)

Thomas Ernst und Florian Neuner: Das Schwarze sind die Buchstaben. Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur. Oberhausen: assoverlag, 2010. Print: 9,95 €, 280, ISBN 978-3-938834-50-3.

Zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 sind gleich fünf Anthologien über das Ruhrgebiet in der Literatur erschienen – doch trotz dieser regelrechten Anthologienflut gab es bislang noch keinen vernünftigen Überblick über das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur. Denn die meisten Publikationen beschränken sich entweder auf regionale Autoren oder brechen mit der Kohlenkrise in den 1960er Jahren und der Arbeiterliteratur ab. Seither hat sich die Darstellung des Ruhrgebiets jedoch beträchtlich ausdifferenziert, was sich auch im Programm des neuen assoverlags aus Oberhausen zeigt, der Autoren wie Michael Klaus, Eva Kurowski und Jürgen Link in seinem Programm führt und nun die Anthologie Das Schwarze sind die Buchstaben. Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur herausgegeben hat, die die eben beschriebene Lücke schließt.

Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Literaturwissenschaftler Thomas Ernst (Brüssel/Luxemburg) und der österreichische Schriftsteller Florian Neuner (Berlin/Ruhrgebiet) präsentieren in dieser Anthologie die Gegenwartsliteratur über das Ruhrgebiet in siebzehn ausgewählten Prosatexten von den 1980er Jahren bis heute. Damit geben sie erstmals einen Überblick über die ganze Bandbreite der Literatur, die seit dem Ende der industriellen Epoche über das Ruhrgebiet geschrieben wird. Sie versammeln auch überregional wahrgenommene Autoren aus dem Ruhrgebiet wie Hans Henning Claer, Helge Schneider oder Wolfgang Welt neben bekannten Autoren von außerhalb, die über ihre Arbeit und Besuche im Ruhrgebiet berichten, wie Sibylle Berg, Thomas Kapielski, Alexander Kluge, Katja Lange-Müller und Harry Rowohlt. Daneben finden sich auch einige echte Entdeckungen wie Franz Hodjak und Dezső Tandori, die der Ruhrgebietsliteratur neue Facetten hinzufügen. Ein materialreicher Essay bietet zudem eine systematische Übersicht über das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur – von der erzählenden und experimentellen Prosa über die groteske, satirische und migrantische Literatur bis hin zur Pop- und Untergrundliteratur und zu den neuen Medien. Eine Vielfalt, die zum Weiterlesen einlädt und hier erstmals fundiert und umfassend versammelt wird!

Ernst und Neuner, zwei „ausgemachte Kenner des Ruhrgebiets“ (WAZ), haben bereits 2009 die Sammlung Europa erlesen: Ruhrgebiet (2009) vorgelegt, die Texte über den Ruhr-Raum vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert versammelt. Diese Anthologie wurde gleich mehrfach als „die bislang beste Ruhrgebiets-Anthologie“ (WAZ/Jens Dirksen) und als „außergewöhnliches Buch über das Revier“ (ruhrbarone.de/Stefan Laurin) gelobt, auch Süddeutschland freute sich über „viele tolle kleine Geschichten und Entdeckungen“ (Süddeutsche Zeitung, jetzt.de/Dirk von Gehlen). Es ist davon auszugehen, dass die beiden Herausgeber mit ihrer Textauswahl und der Überblicksdarstellung ein Standardwerk vorlegen, an dem sich zukünftige Darstellungen der Ruhrgebietsliteratur orientieren werden.

Pressestimmen

„Die 17 Beiträge bieten ausgesprochenen Lesespaß. Schriftstellerische Souveränität paart sich mit Witz, Esprit und Originalität. (…) Das Nachwort bietet einen Generalüberblick über Epochen, Stile und Genres der Ruhrgebietsliteratur. (…) Ein Buch voller Entdeckungen. Chapeau!“
( Literaturarchiv NRW, Walter Gödden, 8.2.2011)

„Mit dieser bemerkenswerten Mischung decken die Herausgeber eine beträchtliche Bandbreite ab. Abgerundet wird diese Anthologie durch einen 50-seitigen Überblicksartikel, in dem Thomas Ernst überzeugend darlegt, wie man die neuere Literaturgeschichte des Ruhrgebiets unter sieben verschiedenen Aspekten strukturieren könnte.“
(Der Emscherbrücher, Dirk Hallenberger, Band 15, 2011/12)

„Flapsig, ironisch… Der Band ist also ebenso unterhaltsam wie nachdenklich, diese Uneinheitlichkeit ist unbedingt gewollt.“
(Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Britta Heidemann, 21.5.2010)

„Ein großer Wurf. (…) Ein besonderes Vergnügen. (…) Zusammengehalten werden die höchst unterschiedlichen Texte durch einen hervorragend lesbaren Essay Thomas Ernsts, der eine systematische Übersicht über das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur in all ihren Schattierungen gibt.“
(bodo – Das Straßenmagazin, Bastian Pütter, Januar 2011)

Inhaltsverzeichnis

Thomas Ernst/Florian Neuner: Vorwort | 9

Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur – eine Auswahl

Günter Herburger: Poesie im Land der Parallelautobahnen | 20

Thomas Kapielski: Mischwald | 30

Helge Schneider: Woanders ist auch nicht mehr los im Grunde | 30

Hans Henning Claer: Die zerschlagene Fresse | 46

Wolfgang Welt: Eine Weltrevolution durch mich | 60

Franz Hodjak: Ein Koffer voll Sand | 72

Katja Lange-Müller: Bochum & Bohnsdorf | 82

Sibylle Berg: Castrop-Rauxel | 92

Harry Rowohlt: Dor’mund | 102

Eva Kurowski: Was wollen wir trinken | 108

Alexander Kluge: Auseinandersetzung in Duisburg | 114

Ludwig Harig: Essener Tagebuch: 1. Mai | 120

Erasmus Schöfer: Winterdämmerung | 126

Jürgen Link: Das Konvolut ‚Lange Nacht‘ | 140

Florian Neuner: Dérive XXIII: Schalke (Leseprobe 1) | 168

Dezső Tandori: Vorstudien in der Wüste | 188

Michael Klaus: „Immerhin patroullieren hier keine Panzer“ | 202

Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur – ein Überblick

Thomas Ernst: Das Schwarze sind die Buchstaben. Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur – ein Überblick | 216
Auszug aus dem Einstieg: S. 216-223 (Leseprobe 2); das Fazit des Überblicksartikels: S. 265-267 (Leseprobe 3)

Auswahlbibliografie | 269
Eine erweiterte Auswahlbibliografie (Leseprobe 4) mit 138 weiteren literarischen und 42 literaturwissenschaftlichen Texten steht hier online zur Verfügung!

Autorenbiographien | 274

Quellenverzeichnis | 278

Weitere Text-, Audio- und Videomaterialien für Anschlusslektüren und Unterricht finden Sie auf einer eigenen Downloadseite!

Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur – einige Lieblingszitate aus dem Buch

Harry Rowohlt über Dor’mund:

„Von Düsseldorf geht es über Dor’mund nach Hause. Bei der korrekten Aussprache von Dortmund läßt man das t in der Mitte weg und plinkert zur Entschädigung einmal kurz mit den Augen. Danach blickt man wie frisch aus dem Ei gekrochen in die Runde: ‚Dor’mund.‘ Geht doch.“

Sibylle Berg über Castrop-Rauxel:

„Es ist eine absonderliche Ruhe auf den Straßen, die von Autos frei sind. Die Menschen schauen mir nach. Sie wittern, daß ich nicht zu ihnen gehöre, und vielleicht auch, daß ich ihnen ihr Geheimnis wegnehmen möchte. Alle Wege in der Innenstadt führen zu Tchibo, und die 79.800 Einwohner stehen an den gelben Stehtischen. Sie haben Kissen aus der Serie Deco Domo gekauft und trinken jetzt Kaffee im Nieselregen.“

Günter Herburger über die Poesie im Land der Parallelautobahnen:

„Draußen flammte die Leuchtschrift der Rheinisch Westfälischen Elektrizitätsgesellschaft, abgekürzt RWE, ein Koloß der Kohle-, Wasser- und Atomenergie. Als ich die letzten Studentinnen und Volkshochschullehrerinnen fragte, ob sie je Lust verspürt hatten, mit einem Gedichtbuch in der Tasche diese Brutkathedrale zu betreten, wurde ich nicht belächelt. Schlimmer, sie hatten das Mahnmal vor ihren Augen noch gar nicht entdeckt, wahrscheinlich aus Abwehr.“

Helge Schneider über seine Jugendzeit in Mülheim an der Ruhr:

„Es ist ungeheuer langweilig hier. Ich will immer abhauen. Wegen der Kinder bleib ich dann doch hier. Und woanders ist auch nicht mehr los im Grunde. Was meine musikalische Laufbahn angeht, ist es sogar ganz gut gewesen, das ich in so einer langweiligen Stadt aufgewachsen bin. So hatte ich viel Zeit zum Üben. Und eben zum Kaffeetrinken, wie schon gesagt. Außer uns Intellektuellen, Schwachen (sozial), Hippies, Arabern und Schülern waren zu einer bestimmten Uhrzeit immer eine ganze Horde Rentner da, über die konnte man sich stundenlang kaputtlachen. Die Bewegungen und Stimmen, vor allen Dingen die unglaublichen Gesprächsthemen, einfach klasse. Wenn ich mir so überlege, wie ich auf die Bühne gehe, ich glaub, ich bin einer von diesen Opas. Sie hatten den größten Einfluß auf meine Arbeit.“

Ludwig Harig in seinem Essener Tagebuch:

„Riraro, der Grugazug ist do! Eben ist ‚Fleißiges Lieschen‘ auf dem Bahnsteig angelangt, wir aber fahren mit der ‚Schwarzen Lene‘. (…) Hinter den Scheiben geschieht alles auf Bäumen: Rosen blühen auf Bäumen, Zitronen hängen auf Bäumen, ja Wünsche wachsen auf Bäumen, denn ein junger Mann, angesichts der Schraubenzieherbäume, sagt zu seiner Begleiterin: ‚So spiralförmig müßte der Mensch sein‘, dreht sich um, kehrt sich der Freundin zu, und uns bleibt verborgen, wozu es nach Ansicht und Meinung des jungen Mannes gut sein soll, daß der Mensch ein Schraubenzieher wäre.“

Eva Kurowski in Avanti Popoloch über Eine sozialistische Kindheit im Ruhrgebiet:

„Als wir später aufstanden, war alles wieder in Ordnung, und wir holten uns im ‚Flöz Sonnenschein‘ erst mal eine Limo. ‚Flöz Sonnenschein‘ war das Festzelt der DKP, und wenn man Glück hatte, spielte gerade keine Schalmaienkapelle.“

Wolfgang Welt in Doris hilft:

„Sollte ich sagen, ich sei Kafka? Der würde mich für verrückt halten. War ich es nicht auch? Oder war ich tatsachlich der größte Schriftsteller aller Zeiten, der nicht mehr schreiben mußte, sondern durch sein schieres Leben Literatur erzeugte? Das Leben schrieb den Roman ohne Maschine. Ich brauchte nicht mehr zu tippen. So würde ich aber kein Geld verdienen. Es würde immer für mich gesorgt. Da war ich sicher. Warum aber gerade ich? War ich Gott? Vielleicht.“

Die Herausgeber

Dr. Thomas Ernst
*1974, wuchs im Ruhrgebiet auf und lebt in Brüssel. Postdoktorand an der Université du Luxembourg mit den Schwerpunkten Gegenwartsliteratur und Literaturtheorie. Letzte Veröffentlichungen zum Thema: Die Anthologie Europa erlesen: Ruhrgebiet (Wieser 2009, gemeinsam mit Florian Neuner) sowie die Aufsätze Die Entdeckung des Ruhrgebiets in der Literaturwissenschaft (2009) und Das Ruhrgebiet als Rhizom und das Jenseits des Metropolen (2010).

Florian Neuner
*1972, lebt in Berlin und immer wieder im Ruhrgebiet. Er ist Teilnehmer von EMSCHERKUNST.2010, dem größten Kunstprojekt der Kulturhauptstadt, und Herausgeber der Zeitschrift Idiome. Hefte für Neue Prosa. Zuletzt hat er die Bücher Zitat Ende. Prosa (Ritter 2007) und Ruhrtext. Eine Revierlektüre (Klever 2010) sowie gemeinsam mit Thomas Ernst den Band Europa erlesen: Ruhrgebiet (Wieser 2009) vorgelegt.

Audio-Auszüge von der Buchpräsentation am 21. Mai 2010 im Medienhaus Mülheim an der Ruhr

Termine von Thomas Ernst und Florian Neuner zum Ruhrgebiet in der Literatur

21. Mai 2010, 16 Uhr, Mülheim an der Ruhr, Medienhaus

Das Schwarze sind die Buchstaben. Das Ruhrgebiet in der Gegenwartsliteratur

Eine Buchpräsentation mit den Herausgebern Thomas Ernst und Florian Neuner sowie mit Prof. Dr. Ulrich Borsdorf, dem Direktor des Ruhr Museums Essen

5. Juni 2010, 10.30 Uhr, Duisburg, Schifferbörse Ruhrort (33. Duisburger Akzente)

Zwischen feurigen Arbeitswelten und juckenden Kumpels. Geschlecht und Sexualität in der Arbeiterliteratur von Max von der Grün und Hans Henning Claer

Ein Vortrag von Thomas Ernst auf einer Tagung der Stadtbibliothek Duisburg

7. Juni 2010, 20 Uhr, Gelsenkirchen, HEINER’s Gastronomie, Wintergarten

Buchpräsentation von Ruhrtext. Eine Revierlektüre

Florian Neuner und Ralph Klever zu Gast im alten Magazin der Zeche Nordstern

19. Juni 2010, 19/20/21/22 Uhr, Gelsenkirchen, Besucherzentrum Pumpwerk Nordsternpark

Ruhrtext. Eine Revierlektüre und Katalogtexte zur EMSCHERKUNST.2010 (‚Fließtext Emscherpassage‘)

Eine Lesung von Florian Neuner im Begleitprogramm von EMSCHERKUNST.2010

16. Juli 2010, 20 Uhr, Essen, Atelierhaus Alte Schule, Äbtissinsteig 6

Das Ruhrgebiet als Text

Florian Neuner stellt sein Buch Ruhrtext. Eine Revierlektüre vor

24. Juli 2010, 18.15 Uhr, Berlin, Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5

Ruhrtext. Eine Revierlektüre

Florian Neuner präsentiert sein Buch im Kontext von Kleine Verlage am Großen Wannsee

2. September 2010, 19 Uhr, Bottrop, In der Welheimer Mark 9, An der Trinkhalle

Katalogtexte zu den „Zwischenräumen“ der EMSCHERKUNST.2010

Ein Rundgang durch die Welheimer Mark und eine Lesung mit Florian Neuner unter der Brücke der A 42

10. Dezember 2010, Luxemburg, Universität

Europäische Kulturhauptstädte interkulturell: Das Ruhrgebiet (2010) und Luxemburg (2007) im Vergleich (Arbeitstitel)

Ein Vortrag von Thomas Ernst auf der Tagung Europäische Kulturhauptstädte interkulturell

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